Saarbrücker Zeitung, 09.12.2000: Fluchtweg unter dicken Mauern?
Fluchtweg unter dicken Mauern?
Völklingens „Geburtsurkunde“ liegt im Erdreich am Alten Brühl verborgen – Grabung nach Fundamenden der alten Kirche
– Von JÜRGEN BOLDORF –
Unter der Leitung von Dr. Walter Reinhard wurde in nur drei Tagen fast der gesamte Turmbereich untersucht. Es war zwar ein Bagger mit von der Partie, aber der Einsatz von schwerem Gerät musste mit großer Umsicht geschehen. Denn schnell ist etwas von der im Boden ruhenden mittelalterlichen Architektur zerstört, das später für den Grabungsbefund wichtig sein könnte.
Den Bau des Turmes hatte der Kunsthistoriker Walter Zimmermann in das 13. Jahrhundert datiert; Karl Rupp hatte diesen Bereich bei einer Grabung in den 20er Jahren ausgelassen. Jetzt trat Erstaunliches zu Tage. Gegründet wurden die an manchen Stellen 1,70 Meter starken, aus Bruchsteinen gemauerten Fundamente auf flachen, aneinander gereihten Steinplatten, wohl um auf dem aus Ablagerungen der Saar entstandenen Schwemmlandboden Halt zu bekommen. Die mächtigen Turmfundamente zeigten unterschiedliche Entstehungsphasen auf. Das ließ sich an verschiedenen Mörtelarten (rot und hell) erkennen, auch an Absätzen im Mauerwerk. Auch im Außenbereich des Turmes waren aus verschiedenen Epochen stammende Erdaufschüttungen festzustellen. Auf der Südseite außen wurde am Turm der Rest eines Fundamentes gefunden; möglich, dass es zu dem mittelalterlichen Beinhaus gehörte, das nach einem Zeitungsbericht von 1937 beim Neubau der Kirche 1737/38 „aus dem Fundament weggebrochen“ wurde.
Im Innern des Turmes zeigte sich in einer Ecke eine Aussparung, die einst wohl unter dem Turmfundament hindurch führte; im äußeren Erdreich konnte ein dazugehöriger Gang festgestellt werden. Um zu klären, ob es sich um einen Fluchtweg gehandelt haben könnte oder nur um eine Drainage für den Wasserabfluß, müssten wohl ausführlichere Grabungen unternommen werden. Im Turminnern waren auch Rußflecken am Gemäuer gut erkennbar. Möglich, dass sie nicht erst beim Brand 1922 entstanden, sondern schon 1634: Denn aus den Bänden der Saarbrücker Kirchenschaffnei-Rechnungen ist zu entnehmen, dass in diesem Jahr das französische Militär in der alten Kirche Quartier hatte und das Gotteshaus „gantz schwarz worden. Alß ist dieselbe wieder zu weißen Bartel dünchern verdingt worden.“ Gut erkennbar traten auch die zur Barockzeit 1737/38 durchgeführten Umbauarbeiten zu Tage, etwa die Erweiterung nach Süden. Im Kirchenschiff schließlich wurde ein Bankett, also ein Streifenfundament, freigelegt, auf dem einmal der alte Fußboden ruhte.
Auffällig die übermäßig dicken Turmfundamente: Sie könnten ursprünglich einen Wehr- oder Schutzturm getragen haben, bevor man auf ihnen den ersten, im Vergleich dazu filigranen Völklinger Kirchturm baute. In Unterlagen des Pfarrers Karl Rug fand sich ein Hinweis, der in Zusammenhang mit einer mittelalterlichen Burganlage in Völklingen stehen könnte. Er schrieb: „In der Nähe der Kirche kannte man noch im Jahre 1687 eine alte Hofstatt, die man ,die Burg‘ nannte. Und wörtlich heißt es tatsächlich in einer Urkunde aus dem Jahre 1687: ,Item ein Garten, die burg genannt, bey der Kirchen, ist noch zur Zeit unvertheilet, weil es eine Hofstatt ist.'“ Nach bisherigem Kenntnisstand lässt sich annehmen, dass die ersten Fundamente des Turmes um einiges älter sind als die einst in Völklingen existierende „königliche Kirche aus der Zeit der Karolinger“, wie sie in einem Verzeichnis der Diözese Trier von 1050 genannt wurde. Entgegen den Erwartungen wurden keine Holzreste gefunden, die Hinweise auf einen hölzernen Kirchenbau aus dem frühen Mittelalter hätten geben können. Die Annahme einiger Völklinger Heimatforscher, dass die erste Martinskirche auf „einem römischen Heiligtum“ errichtet wurde, bestätigte sich nicht, Funde aus römischer Zeit wurden nicht sichergestellt.