Saarbrücker Zeitung, 10./11.02.2001: Das Kirchlein an der Saar
Das Kirchlein an der Saar
Jürgen Boldorf
Am 12. Februar 1922 brach in der alten Völklinger Dorfkirche am Saar-Ufer ein Feuer aus. Nach diesem Brand wurde die Kirche nicht mehr genutzt, dem Verfall preisgegeben und schließlich abgerissen. Die Ursache, weshalb der Brand ausbrach in dem „Kirchlein an der Saar“ – so wird die Dorfkirche in der alten Völklinger Kirchengeschichte genannt – ist nie geklärt worden. Das Feuer wütete vorwiegend in dem 1883 errichteten Querhaus mit Chor. Das Dach des barocken Langhauses von 1737/38 wurde ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Der mittelalterliche Turm hingegen blieb unversehrt. Nach dem Brand wurde die Dorfkirche nicht mehr benutzt.
Doch dieser eigentlich geringfügige Brand war letztendlich Anlass, nun doch nach einem Kirchen-Standort an günstigerer Stelle zu suchen. Denn der Rangierbetrieb der nahen Eisenbahnlinie hatte schon vor dem Brand den Gedanken an einen Kirchen-Neubau aufkommen lassen. Man wollte endlich wieder Gottesdienste feiern, die nicht ständig wegen des Lärms vom Schienenverkehr unterbrochen werden mussten. So verkam das erste Völklinger Gotteshaus in den darauf folgenden 15 Jahren zu einer Ruine. Bis zum Jahre 1937 fristete es so sein Dasein. Nach dem unnötigen Abbruch der Kirche im genannten Jahr wurde die Fläche im alten Brühl eingeebnet und auf ihr in den 60er Jahren ein Kinderspielplatz unter alten ehrwürdigen Bäumen angelegt. Irgendwann, das genaue Datum kennt niemand mehr, wurden die Spielgeräte und Sandkästen wieder entfernt. Der ehemalige Kirchplatz geriet in Vergessenheit. Bis zum Herbst des Jahres 2000.
Die Bäume wurden im Rahmen einer Baumaßnahme gefällt. Sie standen auf keinem geringeren Platz als dem ehemaligen und ältesten Kirchhof von Völklingen, auf dem Generationen von Alt-Völklingern ihre letzte Ruhe gefunden hatten.
Der Völklinger Autor Willi Stockart erinnerte sich 1988 in einer Festschrift anläßlich des 60-jährigen Jubiläums der evangelischen. Versöhnungskirche zu Völklingen an den Brand im Jahre 1922: „Es war der 12. Februar 1922, ein Sonntag. Für die evangelische Kirchengemeinde war es ein schwarzer Tag, als kurz vor 15 Uhr die ersten Rauchwolken und gleich danach die Feuerflammen aus dem Dachstuhl des alten Gotteshauses schlugen. Am Morgen fand noch in gewohnter Weise der Gottesdienst statt, und um 14 Uhr hatte noch das Kind Lina Linder die heilige Taufe empfangen. Niemand von der Taufgemeinde konnte ahnen, was schon in kurzer Zeit geschehen würde. Als die Feuersirenen über den Marktflecken bis hinauf auf den Heidstock zu hören waren, eilten viele zur Brandstätte und wurden Augenzeuge des Zerstörungswerkes. Traurig schauten wir- dem Raub der Flammen zu, bis der Dachstuhl des Kirchenschiffes einstürzte und alles in Schutt und Asche legte. Die Löscharbeiten der drei Feuerwehren konnten nichts mehr ausrichten. Die Kirche brannte bis auf die Grundmauern nieder, nur der jahrhundertealte Kirchturm blieb von der Verwüstung verschont. Die Macht des Feuers vertrieb uns von einer Stätte, die uns lieb und vertraut geworden war. Alte Erinnerungen tauchen noch heute bei der älteren Generation auf an die ehrwürdige Kirche, in der sie selbst getauft oder ihre Eltern konfirmiert und den Segen zum Ehebund empfangen haben. Gern gedenkt man auch der drei Pfarrer, Lentze, Jacob und Alleweldt, die in dieser Kirche letztmalig Gottes Wort verkündigten, die Sakramente verwalteten und die Kinder lehrten. Aber auch der Organist Seybold ist nicht vergessen. Wie oft haben wir als Bälgetreter der Orgel den Wind zugeführt. Und dann denken wir noch an den Küster Luther, dem der Konfirmand beim Läuten der Glocken helfen durfte. Was von der barocken Kirche übriggeblieben ist, waren der Turm und die Umfassungsmauern des Gebäudes. Diese Trümmer wurden schließlich 1937 restlos beseitigt, zuvor jedoch von dem Verfasser an Ort und Stelle aufgezeichnet als Vorlage zum zweiten Völklinger Heimatteller zur bleibenden Erinnerung.“
An den Abriss der Kirchenruine erinnert auch ein Zeitungsartikel eines unbekannten Schreibers vom 24. April 1937. Darin steht unter der Überschrift: „Unter der Spitzhacke“ Die alte evangelische Kirche wird abgerissen“:
„Wer das Profil genau kennt, und es so liebt, dass er wenigstens alle Tage danach schaut, wird in den letzten Tagen einen Turm haben verschwinden sehen, der eine lange Zeit zu Völklingens Aussehen ein Charakteristikum war, lange schon ehe unser Tal noch ein pittoresker Bezirk der Industrie und ihrer Eigenarten in den neuen Horizonten geworden war. Also der Turm der alten evangelischen Kirche wurde umgelegt, vor kurzen Tagen, er wurde wie ein Baum vom Stricke umgezogen – und die frühjahrlichen Aequinoktialstürme (Stürme der Tag- und Nachtgleiche), stemmten sich mit den groben Schultern dagegen als wollten sie helfen. Man erinnert sich noch gut des Februar-Nachmittags als die Sirene einen Großbrand ausschrie und die Kunde ging, die evangelische Kirche sei in Brand; aus allen Dörfern ringsumher waren die Neugierigen und trauernden Gläubigen zur Unglücksstätte geeilt – als die letzten Schwaden sich verzogen, waren die Fenster leer, das Dach war an vielen Stellen herabgebrochen und das Innere starrte vor schwarzer Verwüstung. Seit jener Zeit blieb die alte evangelische Kirche unbetreten, die neue erstand in Schönheit und Größe – und das alte Gotteshaus war allein mit den alten Bäumen, mit Regen, Sonne, Wind und Himmel, die dort ein- und ausgingen, wie es sie berührte. Nun ist die Spitzhacke angesetzt worden, denn ein wahrhaftiges Jahrtausend lang liegen schon die Fundamente, welche eine stattliche Reihe von geweihten Bauten trugen – die Einbruchsgefahr verlangt das Unerbittliche: ein Stück alter Zeit zerbröckelt Stein um Stein. Schon ist das ganze Dach zum Absturz gebracht worden und kräftige Schultern schleppen die altersdunklen Sparren zur Seite – vom Turme poltern die schweren Brocken, bald werden auch die Säulenportale und die schöngehauenen Fenster an die Reihe kommen – und in den uralten Fundamenten wird die neue Zeit ihre Wurzeln schlagen. Hoffentlich bleiben die Bäume um die sterbende Kirche herum stehen… Es sind schöne und wundervoll lebendige Bäume, ein Schmuck also, den Völklingen noch braucht.“