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Saarbrücker Zeitung, 21. Januar 2001: Eine archäologische Bibliothek : Völklingen im Wandel

Saarbrücker Zeitung, 21. Januar 2001: Eine archäologische Bibliothek

Sonntagsgruss Nr. 4 / 21. Januar 2001

Eine archäologische Bibliothek

VON WOLFGANG KAPPLER

Völklingen: Stadt mit Weltkulturerbe. Von der Autobahn geht es über die Saar hinweg hinein in den Kreisel. Eine dreiviertel Umrundung und am Autohaus abbiegen. Wir sind „Im alten Brühl“. Der Blick fällt auf verkommene Häuser, auf Fahrwege, Industriegebäude und die Eisenbahn, die das Terrain durchschneidet. „Ein unangenehmes Gelände. Man sieht zu, dass man schnell wieder weg kommt“, gesteht Pfarrer Dr. Andreas Hämer ein, obwohl das Gebiet zu seinem Pfarrbezirk gehört, und er sinniert: „Wer möchte da schon wohnen?“ Wohnen mag vielleicht keiner hier, aber bauen und Dinge des täglichen Bedarfs verkaufen. Ein Lidl-Markt soll hier entstehen. Gleich neben der Friedhofsmauer der im Februar 1922 nach einem Taufgottesdienst abgebrannten Martinskirche. Wahrscheinlich war es der unachtsame Umgang mit dem Ofen, welcher die Kirche heizte, was schließlich deren Untergang bedeutete. Das Kirchengelände war schon vorher Zug um Zug von der Gemeinde verkauft worden. Die Industrie brauchte Gelände, die Eisenbahn ebenfalls. Schließlich war die Gemeinde und ihre Kirche abgeriegelt von den übrigen Wohngebieten. Auf solch einem Gelände wollte sie dann auch keinen Neubau errichten. Es kam zum Geländetausch mit der Stadt und 1926 entstand die heutige Versöhnungskirche in der Poststraße. Die Reste der niedergebrannten Kirche jedoch verschwanden erst in den 30er Jahren, und das Gemeindehaus war noch bis in die 50er Jahre hinein in Betrieb. Als nun Lidl 1999 den Bauantrag einreichte, wurde auch die Versöhnungs-Kirchengemeinde um eine Stellungnahme gebeten, weil wegen des alten Friedhofs mit Knochenfunden zu rechnen war und man eine gewisse Pietät walten lassen wollte. Daneben war bekannt, dass die abgebrannte Martinskirche auf den Resten einer aus dem elften Jahrhundert stammenden gotischen und mehrmals veränderten Kirche stand. Ein Historiker im neugewählten Presbyterium mutmaßte sogar, dass „noch anderes“ darunterliege. Eine Vermutung, die Landeskonservator Johann Peter Lüth bestätigt: „Es stimmt, was vermutet wurde. Was wir bei unseren vom Investor und der Stadt finanzierten Grabungen fanden, gehört zum vormaligen Königsgut „Fulcolinga“. Das bedeutet, dass hier womöglich alle führenden Persönlichkeiten begraben liegen, die im 8. Jahrhundert das Gebiet an der mittleren Saar verwalteten. Damit ist es ein Ort von zentraler Bedeutung und eine der wichtigsten Siedlungsstätten im Saarland“. Sichtbar sind zur Zeit die mittelalterlichen Kirchengrundmauem, die sich in einem überraschend guten Zustand befinden und Zeugnis von der Geschichte Völklingens ablegen. Für das Presbyterium der Versöhnungs-Kirchengemeinde sind sie eine „archäologische Bibliothek“. „Niemand würde wohl auf die Idee kommen, eine Bibliothek samt Inhalt niederzubrennen, um einem Einkaufszentrum Platz zu machen“, schrieb das Gremium in einem Brief an Oberbürgermeister Hans Netzer, mit dem es sich für die Sicherung der Überreste einsetzte, um sie für weitere Geschichtsforschungen, vor allem aber aus Gründen der kulturellen Verantwortung, zu erhalten. Lidl selbst wäre sogar bereit, an einen anderen Platz auszuweichen. „Gelände können wir jedoch nicht bieten“, bedauert Uwe Krieger, Pressesprecher der Stadt. So sollen die freigelegten Mauern in einigen Wochen wieder zugeschüttet werden. Lidl wird das Niveau des Einkaufsmarktes um einen halben Meter erhöhen und mit einer Platte versiegeln und die Gründungstiefe . deutlich minimieren. So wird gewährleistet, dass möglicherweise in späteren Jahren weiter geforscht werden kann. Für Pfarrer Hämer indes ist das keine befriedigende Lösung. Die Bewahrung der mittelalterlichen Mauern wäre „eine sagenhafte Gelegenheit für Völklingen, Ansehen und Image zu steigern“. Doch so, wie die Dinge liegen, kritisiert er: „Der „alte Brühl“ ist symptomatisch dafür, wie man mit den hier lebenden Menschen und der Geschichte umgeht“. Und Landeskonservator Lüth bedauert: „Es gibt dann nichts mehr, was an diesen Ort erinnert“. Doch: ein Supermarkt. Ob er aber das Bewusstsein dafür weckt, dass im Boden mit den Überresten eines Königsgutes die Keimzelle Völklingens schlummert, ist mehr als fraglich. Ein Supermarkt als Erinnerung an die eigenen Wurzeln? Die Völklinger müssten dies der Jetzt- und Nachwelt gegenüber erklären und verantworten. Noch gibt Hämer nicht auf. Er plant ein Bürgerforum „als Herausforderung zur Auseinandersetzung“. Lüth verhandelt derweil mit Saarstahl, um Lidl Altemativ-Gelände anbieten zu können.

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